Gletschereffekt

Der Winter 2005/2006 wird uns nicht nur wegen des tragischen Dacheinsturzes der Eissport- und Schwimmhalle in Bad Reichenhall mit insgesamt 15 Toten (darunter 13 Kinder und Jugendliche) noch lange in Erinnerung bleiben, sondern auch wegen der heftigen, wenn auch nicht außergewöhnlichen Schneefälle in Teilen Bayerns (Oberbayern) und den angrenzenden Regionen Österreichs und Tschechiens sowie im polnischen Kattowitz mit immerhin 65 Todesopfern. In der Folge brachen viele Dächer ein, insbesondere Flachdächer mit größeren Spannweiten. Aber der Massenschnee und die kalte Witterung hatten noch eine weitere unangenehme Folge, nämlich den so genannten Gletschereffekt. Das Gewicht von Pulverschnee mit einer Höhe von 1 Meter beträgt bis zu 100 kg/m². Dieses Flächengewicht erreicht dichtes Eis bereits bei einer Dicke von etwa 11 cm. Daraus folgt, dass Eis bis zu 9 mal schwerer ist als Pulverschnee. Die immer wieder nur kurz durch Tauwetter unterbrochene, fast zweimonatige Frostperiode mit immer neuen Schneefällen, hat auf vielen Hallendächern schwere Eisschichten entstehen lassen. Begünstigt wurde dieser Prozess durch Schmelzwasser, welches entsteht, wenn die Dachfläche nicht ausreichend gut gedämmt ist und die darüber entweichende Wärme den unteren Bereich des Schnees unmittelbar auf der Dachhaut zum Schmelzen bringt. Aber auch Tagestemperaturen von etwas über 0°C bewirken ein leichtes Antauen des Schnees, der in der Nacht dann wieder gefriert. Die ursprüngliche lockere Schneemasse verdichtet sich immer mehr, obere Schichten drücken die unteren zusammen und die im Pulverschnee reichlich vorhandenen Luftlöcher verschwinden. Im Laufe der Zeit wird der Schnee dann fast so schwer wie Wasser. Was bei Gletschern im Laufe von Jahrtausenden passiert, kommt hier sozusagen im Zeitraffer und im Kleinformat vor. So kann es dann dazu kommen, dass Dächer je nach Schneehöhe Lasten von bis zu 1,5 kN/m² (150 kg/m²) oder gar mehr aushalten müssen. Diese Lasten sind nach der aktuellen Schneelastnorm je nach Region durchaus rechnerisch anzusetzen, jedoch wird häufig "geschlampt", begünstigt durch den rigiden Kostendruck und die grundsätzliche Vergabe der Ausführung an den "Billigsten". Bei vielen Objekten wird auch auf die Prüfung nach dem Vier-Augen-Prinzip verzichtet, obwohl dies vielfach gesetzlich noch gefordert wird. Aber auch bei vielen Bürgermeistern sind diese "Spielregeln" nicht bekannt oder werden ignoriert. So kommt es, dass selbst neue Gebäude häufig Dächer aufweisen, die diesen Schneelasten nicht standhalten. Die Folge dieses "Geiz-ist-Geil-Trends" sind entsprechenden Schäden oder eben auch die spektakulären Dacheinstürze, die im Januar und Februar des Jahres 2006 allerorten zu beobachten waren.

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